Die Wahl der Qual
Im Internet ist Sadomasochismus nicht mehr nur eine
krankhafte Störung des menschlichen Sexuallebens.
Neben den etablierten sexuellen Minderheiten der
Schwulen und Lesben, die längst über eine Lobby,
geförderte Projekte und Sexualwissenschaftler aus eigenem
Anbau verfügen, sind Sadomasochisten die schlecht
gekleidete Zonenverwandtschaft. In den offiziellen
Diagnosekatalogen gilt Sadomasochismus, wie auch
Fetischismus und Transvestismus, noch immer als
``psychosexuelle Störung'', im Volksmund als dekadentes
Gelüst alter Säcke. Diese Subkultur ist damit heute etwa
auf dem Stand der Homosexuelle zu Anfang der
Siebzigerjahre. Aufklärungsliteratur und
Sexualberatungsstellen zeigen sich ratlos und
desinteressiert, wer nach unvoreingenommener
Information oder gar Beratung sucht, ist auf das Internet
angewiesen.
International ist schon Mitte der 80er-Jahre - in
Deutschland etwa seit 1995 - eine Vielzahl an
Informations-, Unterhaltungs- und Kontaktangeboten für
Sadomasochisten entstanden. Die Veränderungen sind
deutlich zu spüren. War lange Zeit ein spätes und
schwieriges (oder gar kein) Coming-out die Regel, sind
inzwischen die Chancen gestiegen, SM-Interessen ins
Sexualleben zu integrieren. Das Coming-out-Alter sinkt,
die Einsicht, man sei wohl auch so ein Perverser, ist immer
häufiger ganz unspektakulär. Informationen über weniger
gebräuchliche Beziehungsformen und Sexualpraktiken sind
ohne Hemmschwelle zugänglich, wenn der Chef nicht
gerade über die Schulter sieht.
Insbesondere Frauen, die sich von den traditionellen
Zugangsmöglichkeiten zur Subkultur oft nicht
angesprochen fühlten, profitieren von der Möglichkeit, sich
unauffällig und unverbindlich einen Eindruck zu
verschaffen. Aus Chats entstehen neue regionale Treffen,
und offene Anlaufstellen lösen konspirative Zirkel ab.
Dabei ist es nicht ganz einfach, Provider für
SM-Informationsangebote zu finden. Vielen Projekten
werden ihre Verträge über Nacht gekündigt.
Jugendschützern sitzt der Pornografievorwurf locker,
andere wittern wenigstens Spießigkeit: ``SMler oder
Fetischisten organisieren sich wie Kleingartenvereine'',
mokiert sich der Spiegel - nicht ganz zu Unrecht, aber auch
die Schwulenbewegung wurde nicht hip geboren.
Die folgenden SM-Websites machen keinen Gebrauch von
roter Schrift auf schwarzem Hintergrund mit lodernden
Fackel-Animationen und sind damit auch für Leser ohne
ausgeprägte masochistische Neigungen genießbar: Das
1995 gegründete umfangreiche Projekt
www.datenschlag.org versammelt neben Grundlagentexten
eine Enzyklopädie und eine Chronik des Sadomasochismus.
www.zarthart.com ist das dienstälteste und
www.lustschmerz.com das jüngste und aktivste der
SM-Onlinemagazine, die neben Information in erster Linie
Unterhaltung und Kontaktmöglichkeiten bieten.
Auf der Website der Zeitschrift ``Schlagzeilen''
(www.schlagzeilen.com) findet sich eine aktuelle Übersicht
über SM-Organisationen und -Termine im
deutschsprachigen Raum. SchMacht!
(stadt.gay-web.de/schmacht/) vernetzt als überregionale
Organisation lesbische und bisexuelle Sadomasochistinnen.
Auch die ``women only''-SM-Mailingliste (Kontakt über
helene@bdsm.at) wendet sich nur an Frauen.
Einen kurzen Überblick über die einschlägigen Chats im
IRC und WWW gibt es unter
www.die-wahl-der-qual.de/links.html. Keines der
Angebote kann allerdings die Frage beantworten, warum
SM-Projekte unweigerlich Namen wie
``Schlagbohrmaschine'' und ``Schlaganfall'' tragen müssen.
Stärker ist wohl nur noch das Friseurgewerbe vom
Wortspielzwang befallen.
KATHRIN PASSIG
kathrin@kulturindustrie.com
taz Nr. 6316 vom 7.12.2000, Seite 17, 120 Zeilen, TAZ-Bericht